Skip to main content

Aktuelles

Aussteiger besucht die Johann-Philipp-Palm-Schule

 
Christian Weißgerber, Aussteiger aus der Neonaziszene, besuchte am 5. Juli 2023 unsere Schule und hielt einen Vortrag mit Workshopcharakter über seine Zeit als Neonazi. Heute ist er Kulturwissenschaftler und Philosoph. Seine Biografie hat er als Buch verfasst – damit man sieht, wie man in die Neonazi-Szene hineinrutschen kann.

Der heute 34-Jährige wirkt sehr selbstbewusst und sympathisch und erzählt den drei  anwesenden WG1- und einer WG-Eingangsklasse von seinem Leben, indem er dem Publikum auf Augenhöhe begegnet: „Ihr könnt mich duzen oder siezen, ich werde euch duzen!” Damit ist das Eis gebrochen.
Im ersten Teil  beschreibt er den Rechtsradikalismus als ein „braunes Mosaik“, welches aus vielen verschiedenen Bruchstücken besteht. Eines dieser kleinen Teile, sogar nur ein kleiner Punkt, sei er selbst gewesen. Weißgerber erzählt, wo er aufgewachsen ist und wie sein Umfeld ihn beeinflusst hat, sodass er sich – in seinen Augen damals fast zwangsläufig – dem Rechtsextremismus zuwandte. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass man dem Umfeld nicht die Schuld geben könne und dass man seine Entscheidung immer selbst treffe.
Aufgewachsen im thüringischen Eisenach kurz nach der Wende sei ihm schon im Kindesalter vermittelt worden, er gehöre in Deutschland zu einer „besseren Gruppe“ – eben nicht zu den Wessis, und so wurde er auch stolz darauf Deutscher, ein besserer Deutscher als andere – zu sein. Unterstützt wurde das durch den einen oder anderen aus seinem Umfeld – Lehrer, Freunde, Bekannte.
Durch sein Interesse an Musik kam er in Kontakt mit jemanden, der älter und bereits in der Neonazi-Szene tätig war, der ihn auch dazu brachte, dort einzusteigen. Er selbst hat bei Demos mitgemacht, ist in der rechten Musikszene aufgetreten, hat bei Veranstaltungen Reden gehalten und in jungen Jahren eine eigene Jugendorganisation gegründet. Das hat ihm eine Art Respekt verschafft, den er als Heranwachsender kritiklos genossen hat.
Durch Gegenwind an seinem Studienort folgte dann mit einem Kumpel zusammen der Ausstieg, obwohl das nicht so einfach war und er sogar Morddrohungen erhielt. Warum? Seine eigenen Erwartungen wurden nicht erfüllt und da es nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte, stellte er sich durch diesen Abstand die Frage, was er da überhaupt mache.
 
Durch Weißgerbers Vortrag bekamen wir Schüler einen anderen Einblick in die Neonazi-Szene. Keine Springerstiefel, kein primäres Ausländerboxen, kein Bedienen der Standardvorstellungen, wie ein Nazi ist oder aussieht und wie man einer wird. Sein Weg war ein anderer – ein Gefühl dafür, dass man ein guter Deutscher ist, ein Feindbild der „nicht guten“ Deutschen, ein Umdenken im Kleinen, ein sich Respekt verschaffen in einer von Unterordnung geprägten Umwelt, dazu ein Elitegefühl in der Schule, in der besten Klasse der besten Schulart zu sein, und dann eben die Mentoren, die Buddies, die gerade solche Jugendlichen auf der Suche in die Neonazi-Szene  anwerben und mitnehmen.  
Alle Fragen – auch private - wurden sehr ausführlich beantwortet. Abschließend bekamen die Schüler*innen noch den Auftrag, selbst aktiver zu werden und etwas zu unternehmen, wenn sie etwas störe, sei es in der Schule oder in der Politik. 

Denn: wer selbst aktiv wird, der braucht keine Mentoren, die einen vielleicht in die falsche Richtung mitnehmen.
(Xenia Vafadjoui-Dinati, WGI1)